Athazagoraphobie ist eine spezifische Persönlichkeitsstörung, die die
Angst übersehen, ignoriert oder ganz einfach vergessen zu werden
beschreibt. Es ist beindruckend wie es ein einfacher kategorischer
Fachgebegriff schafft, meine gesamte Persönlichkeit und all die
Erfahrungen der letzten Jahre auf ein einzelnes Wort zu reduzieren.
Glückerlicherweise gehört dieser Abschnitt meines Lebens nun der
Vergangenheit an, denn heute wird sich alles ändern. Ich hätte nie
geglaubt, dass dieser Moment tatsächlich kommen wird, geschweige denn,
dass ich für ihn bereit sein werde. Dieser eine Augenblick der mich von
all meinem Leiden befreien sollte und nachdem ich mich so lange gesehnt
habe. Auch wenn die Erfüllung all meiner Wünsche mir direkt
gegenübersitzt, fällt es mir schwer meine Nervosität in ihrer
Anwesenheit zurückzuhalten. Meine Kehle ist trocken, mein Körper auf
seinem Stuhl gefesselt und mein Herz ganz und gar von ihrer Schönheit
überwältigt. Wie wir Menschen uns in unserem tiefsten Herzen einfach
immer und unerbittlich an einem Wunsch festhalten.
Hätte mein 13-jähriges Ich damals gewusst, dass es 20 Jahre dauern
würde bis es ein Treffen mit diesem einen Mädchen haben wird, wäre mir
eine lange Zeit des aussichtslosen Wartens erspart geblieben. Wie oft
habe ich um ihre Aufmerksamkeit gekämpft und wie oft habe ich die nur
die kalte Schulter bekommen. Es ging es mir dabei nicht einmal darum
endlich eine Freundin oder die große Liebe zu finden, nein ich wünschte
mir einfach nur ein Teil in ihrem so vollkommenen Lebens zu sein. Ich
wollte es nicht wahr haben, nicht mehr als eine langsam verblassende
Erinnerung in ihren Kopf zu sein. Ein Spinner der sich mal an sie
ranmachen wollte. Eine Fassette die im nächsten Abschnitt ihres Lebens
keine Bedeutung haben wird, eine veraltete Datei die im großen
Datenspeicher des Lebens einfach überschrieben wird. Nacht für Nacht
und Jahr für Jahr quälte ich mich mit der Angst, sie würde mich eines
Tages vergessen. Es sind nicht die Geschenke die wir bekommen, nicht die
materiellen Werte, sondern die Momente und Gefühle an die wir uns am
Ende unseres Lebens zurücksehen und der Gedanke, dass mir an jenem Tag
kein Platz in ihrem Herz gebühren wird, raubte mir all meine
Lebensfreude.
Doch wie ich bereits gesagt habe, ich hätte nie gedacht, dass dieser
eine Tag, der mich von all meinen Sorgen erlösen sollte, tatsächlich
kommen würde. Als Kind hätte ich nie geglaubt, dass mein Tod einem
Menschen einmal die lang ersehnte Vergeltung schenken wird. Sie hat
lange gebraucht alles zu verarbeiten, doch heute durfte ich erfahren,
wie viel Wahrheit in einem einzelnen Schuss liegen kann. Frei von allen
Ängsten schaue ich in das lodernde Feuer ihrer wunderschönen Augen und
lege mich ein aller letztes Mal zur Ruhe, denn jetzt weiß ich, dass sie
mich niemals vergessen wird.